
Corona ist Veränderung, nur irgendwie anders. Ein Blick aus dem Change Management.
Der Lockdown in der Corona-Pandemie hat unser Leben völlig auf den Kopf gestellt. Ich habe in dieser Zeit beobachtet, dass viele Menschen ein Verhalten gezeigt haben, das ganz typisch für Veränderungsprozesse ist: Widerstände, Diskussionen und vielleicht ein Gefühl der Ohnmacht. Manche waren ganz euphorisch und begannen neue Dinge auszuprobieren, die für sie vorher undenkbar waren. Andere waren frustriert, obwohl sie persönlich gar nicht existentiell von der Situation betroffen waren.
Ich schaue nun auf diese Zeit zurück und habe mich gefragt, warum viele Menschen auch ohne existentielle Sorgen die Corona-Pandemie als eine ganz besondere Herausforderung empfinden. Dazu habe ich mal meine „Change Management-Brille“ aufgesetzt und bin zu einer interessanten Erkenntnis gekommen: Die Veränderung durch Corona bringt Besonderheiten mit sich, die uns den Prozess der Veränderung anders und damit als ganz besondere Herausforderung empfinden lassen. Unsere gewohnten Muster und Strategien im Umgang mit Veränderungen greifen zum Teil nicht mehr und das Ziel, das wir für all die Anstrengungen brauchen, fehlt. Dabei habe ich 6 Gründe gefunden, warum Corona als Veränderung so anders war.
Plötzlich und richtungslos: Das Alte wird uns genommen – aber was ist eigentlich das Neue?
Bei den meisten Veränderungen wissen wir zumindest ungefähr, wie das Neue ausschauen wird: wir werden Eltern sein, wir kennen das neue Eigenheim, wir wissen wo wir in Zukunft arbeiten werden. Dieses Ziel vor Augen zu haben ist Anker und Motivation, um sich auf den mühsamen Weg des Veränderungsprozesses zu machen. Wir wissen, wofür wir uns von lieb gewonnenem verabschieden und finden Mut, Kraft und Motivation, das Neue zu gestalten.
All das hat uns jedoch gefehlt, als wir plötzlich im Shutdown zuhause saßen. Plötzlich und ohne lange Ankündigung gab es all die lieb gewonnen Dinge nun nicht mehr: kein Besuch von Freunden, keine Hobbies, kein geregelter Arbeitsalltag, keine gewohnten Einkaufsmöglichkeiten. Doch wir wussten auch, dass dies nicht das Neue ist, sondern nur ein Übergangszustand – oder? Wie lange wird der Zustand andauern? Wird es das Alte überhaupt noch geben? Lohnt es sich, für das Alte zu kämpfen oder werden wir in einer Welt leben, in der diese Dinge nicht mehr stattfinden können? All dies hat übliche Verhaltensweisen außer Kraft gesetzt und viele Menschen in ein Gefühl der Ohnmacht versetzt.
„Naja, die werden schon merken, dass das keinen Sinn macht“ – Diese Idee ist hingegeben wie in fast jedem Veränderungsprozess geblieben. Ist erst einmal der Schock über die Veränderung verdaut, suchen viele Menschen Gründe, warum das alles nur ein Irrtum sein kann. Im Fall von Corona: „Die werden schon merken, dass die Wirtschaft das nicht packen wird“ oder auch „Die werden schon merken, dass die Statistiken falsch sind und es alles gar nicht so schlimm ist. Das Ergebnis: scharfsinnige Analysen, warum das, was die Experten sagen, ja sowieso nicht stimmt, sich alle widersprechen und es in Schweden ja auch ohne Lockdown geht. Doch die Situation blieb und eine übliche Reaktion wäre gewesen, in eine Verhandlung zu treten, um das Alte wieder herzustellen, aber….
Widerstand zwecklos: Es fehlt ein Verhandlungspartner, den Virus wieder abzuschaffen. Und wer ist eigentlich schuld?
Haben wir einmal verstanden, dass „die das wirklich so meinen“, setzt bei vielen Menschen eine Phase des Widerstands ein. Es wird verhandelt, um das Alte zu bewahren und ein Schuldiger für die Veränderung gesucht. „Wenn das Marketing nicht so viel Geld ausgegeben hätte, dann müssten wir die Niederlassung jetzt nicht schließen“ oder „Ich habe eine Analyse erstellt, die zeigt, dass andere Niederlassungen sehr viel schlechter performen – das hat mein Chef bestimmt nicht gewusst, ich werde es ihm erklären“.
Bei Corona hingegen konnte diese Widerstandsphase nur schwierig gestaltet werden. Die Frage danach, wer eigentlich schuld an dem Virus ist, endete in einigen Verschwörungstheorien, so richtig konnte jedoch niemand identifiziert werden, der den Virus eingeführt und damit die Veränderungen herbei geführt hat. Auch konnte nicht mit dem Virus selbst verhandelt werden. Die Folge: wir fingen an, mit anderen Menschen zu verhandeln: Emails an das Fitnessstudio, es könne doch mit Abstandsregeln öffnen. Anrufe bei der Schule, dass sie doch merken müssen, dass das so mit der Kinderbetreuung nicht schaffbar sei. Doch: es gab keinen Verhandlungserfolg. Immer wieder wurde uns klar, dass es nichts zu verhandeln gab: Die Situation bleibt wie sie ist, basta. Keine Kompromisse, kein Entgegenkommen, kein Weg zurück – all das ist untypisch für diese Phase in Veränderungen und führte bei vielen erneut zu einem Gefühl der Ohnmacht. Und der Situation zu entfliehen, war auch keine Option.
Aussteigen unmöglich: Wir sind global betroffen und können dem Wandel nicht entfliehen
Wollen wir das Neue auf gar keinen Fall oder haben wir das Gefühl, in unseren Verhandlungen nicht gehört zu werden, wählen wir oft den Ausstieg. Wir suchen uns einen neuen Verein, einen neuen Job oder auch einen neuen Partner. Eine oftmals unschöne Option, aber meist die letzte, um auf gar keine Fall die angestrebte Veränderung zu akzeptieren. Und bei Corona?
Kein Ausstieg möglich. Wir konnten der Situation nicht entfliehen. Keine Einreise in Länder mit weniger Beschränkungen möglich. Kein Wechsel zu einem Arbeitgeber, bei dem ich wieder ganz normal arbeiten kann. Kein Ausstieg aus der Situation, dass ich mit 4 kleinen Kindern Home Office machen muss. Ich muss es aushalten, fühle mich gefangen, in meiner Freiheit beschnitten – ist das noch Demokratie? Für Menschen, die in einer solchen Situation nicht verharren, sondern die nächst beste Option wählen, war dies sicher ein beklemmendes Gefühl. Keine Macht über mein Leben, ich muss es aushalten, kann nicht einmal mein Bundesland verlassen oder zu meinen Eltern „fliehen“ – ob ich es will oder nicht. Dies war aus meiner Sicht in unserer Gesellschaft sicher eines der ungewöhnlichsten Erfahrungen und gefühlt größten Strapazen waren wir es doch immer gewöhnt, frei zu entscheiden und zu gehen, wenn es uns nicht passt.
Ein Ende ohne Abschied: In vielen Bereichen wurden uns genommen, uns von dem Alten zu verabschieden
Haben wir einmal verstanden, dass es das Alte nicht mehr geben wird, beginnen wir uns von dem Alten zu verabschieden. Meist geht dies einher mit entsprechenden Ritualen wie einer Abschiedsfeier. Denn erst wenn wir das Alte hinter uns gelassen haben, können wir uns auf etwas neues einlassen – der Grund, warum es z.B. einen Junggesellenabschied heute noch gibt.
Bei Corona hingegen gab es Situationen, in denen wir keinen Abschied feiern konnten. Das letzte große Konzert, der vorerst letzte Besuch des Ferienhauses, der Großmutter, des Schützenvereins. Auf einmal saßen wir in diesem neuen Zustand, in dem wir uns neu organisieren mussten. Viele Menschen berichteten mir jedoch, dass sie keine Energie aufbringen konnten, das Neue zu gestalten: den Urlaub zuhause anstatt im Ferienhaus. Das Wochenende zuhause anstatt im Kreise der Familie. Die Fahrradtour im Stadtpark anstatt das Treffen mit der Feuerwehr. Ein innerer Kampf zwischen der Ungewissheit, ob dies das Neue überhaupt sei, und ob sich der Aufwand überhaupt lohne, da es das Alte vielleicht doch bald wieder geben wird. Das Ergebnis: erneute Ohnmacht und Frust. Vielleicht ein kurzer Moment des Widerstandes, der dann im Keim erstickt, weil er ja sowieso sinnlos ist. Oder soll ich meinen Chef doch mal anrufen und ihm sagen, dass das so mit dem Home Office keinen Sinn macht? Wie lange soll das denn hier noch gehen?
Testen ohne Ende: Lohnt es sich eigentlich etwas Neues auszuprobieren, wenn das Alte vielleicht zurückkommt?
Manche Menschen durchlaufen in Veränderungen sehr schnell die Widerstandsphase, brauchen nur kurz um zu verstehen, dass das Alte vorbei ist und machen sich schnell auf, das Neue auszuprobieren. Kein Kegelclub und Karate? Kein Problem: ich gestalte meinen Garten neu, gehe dann halt joggen und suche mir einen Online-Yogakurs. Es sind die Abenteurer unter uns, die mit viel Mut und Neugierde es fast schon gut finden, dass sie so endlich mal was Neues ausprobieren können. In dieser sog. Testphase in Veränderungen ist es jedoch wichtig, dass wir wissen, wann wir auf dem richtigen Weg sind. Wir brauchen ein klares Ziel und Erfolge, um immer wieder den Mut und die Energie für neue Experimente aufzubringen. Ist Fahrradfahren statt Kegeln jetzt eigentlich die richtige Alternative? Hilft es für die Beendigung der Pandemie überhaupt, wenn ich zuhause Yoga mache und nicht in einer Yogaschule?
Wenn wir das Neue nicht kennen und nicht wissen auf welchen Weg wir uns machen, kommen immer wieder Zweifel auf, ob sich der Aufwand lohnt und wir auf dem richtigen Weg sind. Da in der Corona-Pandemie lange niemand sagen konnte, ob der Shutdown uns in das Alte zurückbringt oder was eigentlich das Neue ist, hat dies bei vielen Menschen Frust ausgelöst. Die Folge: Widerstand, allerdings in einem System in dem es keine Verhandlungspartner gibt, wir nicht wissen ob es sich lohnt für das Alte zu kämpfen und mit welchen Argumenten wir eigentlich wem erklären können, dass das alles keinen Sinn macht. Erneuter Frust, Ohnmacht, Wut. Aber naja, damit ich zuhause nicht durchdrehe, gehe ich halt spazieren – und vielleicht gucke ich doch mal bei Oma vorbei? Ach nee, die werden nächste Woche eh merken, dass da so keinen Sinn macht, dann gehe ich dann.
Zurück ist auch Veränderung: Wenn sich einzelne Aspekte wieder zum Alten wenden, müssen wir vielleicht Neues wieder aufgeben
Inzwischen sind wir in der letzten Phase der Lockerungen angekommen. Das Fußballtraining hat wieder angefangen, die Schulen öffnen nach und nach und meinen Yogakurs kann ich auch wieder im Studio machen. Moment mal – das bedeutet ja, dass ich die Kinder wieder zum Training fahren muss und in der Zeit nicht auf dem Balkon liegen kann. Anstatt morgens eine Runde Joggen zu gehen, stehe ich jetzt wieder im Stau zu Arbeit. Und nicht zu Tante Hildes Geburtstag zu gehen, zu dem ich eigentlich keine Lust habe, dafür habe ich auch keine Ausrede mehr. Und der Hund wird es sicher nicht gut finden, wenn ich ihn bald wieder in die Betreuung bringe.
Am Ende eines Veränderungsprozesses finden wir oft gefallen an dem Neuen und fragen uns „war es eigentlich jemals anders?“. Üblicherweise findet hier eine Stabilisierung des Neuen statt, so gut wie nie führen wir jedoch das Alte wieder ein – so jedoch bei Corona. Während wir noch am Anfang mit dem Yogastudio diskutierten, ob die Kurse nicht draußen stattfinden könnten, finden wir nun den Weg ins Studio schon ganz schön aufwendig. Das Homeschooling hatte irgendwie auch Vorteile, weil man zwischendurch mit Kindern etwas unternehmen konnte.
Das Neue – zumindest in Teilen – wieder zurück zu organisieren ist nicht nur mit einer Menge Aufwand verbunden, sondern es bedeutet auch, dass wir uns erneut von lieb gewonnenem verabschieden müssen. Die Folge: der psychologische Prozess der Veränderung beginnt von vorne: wir verhandeln mit dem Chef, dass wir doch weiterhin von zuhause arbeiten könnten, es entstehen Widerstände gegenüber der neuen alten Unterrichtsform und eigentlich war es auch ganz schön, immer eine passende Ausrede für ungeliebte Familienfeiern zu haben. Wie gut nur, dass es dieses Mal jemanden gibt, mit dem wir verhandeln können.
FAZIT: Schmollen erlaubt auch wenn eigentlich alles gut ist
Schaue ich mit diesen Beobachtungen auf den Prozess zurück, stelle ich mir die Frage, ob und wie wir es schaffen werden, etwas Neues zu gestalten. Es haben viele Dinge nicht stattgefunden, die nach herrschender Lehre eigentlich wichtige Voraussetzungen sind, um das Neue in einem Veränderungsprozess zu gestalten: aktiver Abschied vom Alten, ein klares Ziel wo wir hinwollen und eine geteilte gemeinsame Einsicht, dass es eine Veränderung braucht und das Alte nicht mehr tragbar ist. Außerdem müssen wir merken, dass sich die Veränderung gelohnt hat und ein Weg zurück keine Option ist – wie kann das gehen, wenn wir nicht wissen, ob wir wieder in das Alte zurückgehen?
Aufgrund der Besonderheiten von dem Veränderungsprozess durch die Corona-Pandemie brauchen wir dafür vor allem Vertrauen, dass sich die Zukunft gut gestalten wird auch wenn wir heute noch nicht wissen wie sie aussehen wird. Es braucht außerdem Mitgefühl und Annahme für uns selbst, dass wir manchmal frustriert sind, auch wenn das, über das wir uns ärgern, nicht existentiell scheint. Schaffen wir es, uns nicht in diesen Gefühlen zu verlieren und mit Mut, Geduld und Mitgefühl die Zukunft zu gestalten, wartet eine wunderbare „Neue Welt“ auf uns, davon bin ich überzeugt. Nur mit meinem Fitnessstudio muss ich nochmal sprechen, ob sie die Kurse nicht doch weiterhin online anbieten können…
Dieser Artikel ist am 20.06.2020 auf LinkedIn erschienen.
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