
Agile Personalplanung rechtssicher gestalten. Das rät Rechtsanwältin Dr. Knappertsbusch.
Auch im HR und in der Personalplanung ist Agilität ein wesentlicher Faktor geworden, um flexibel auf wechselnde Anforderungen der Arbeitswelt reagieren zu können. So werden insbesondere Personalbudgets und Kompetenzen nicht mehr über Jahre im voraus geplant, sondern regelmäßig neue Entscheidungen auf Basis veränderter Rahmenbedingungen getroffen. Aber wie ist das mit dem deutschen Arbeitsrecht vereinbar? Wie können Unternehmen eine agile Personalplanung rechtssicher gestalten ohne ein hohes Maß an Flexibilität zu verlieren? Darüber habe mit der erfahrenen Rechtsanwältin Frau Dr. Inka Knappertsbusch gesprochen. Eine wesentliche Erkenntnis: mit einer guten Kommunikation und einem fairen Miteinander wird Arbeitsrecht eigentlich überflüssig.
Frau Knappertsbusch, Sie sind eine erfahrene Fachanwältin für zukunftsorientierte Arbeitsrechtsthemen in Deutschland und beraten Unternehmen zum Thema New Work. Was genau sind Ihre Tätigkeitsschwerpunkte?
Dr. Inka Knappertsbusch: Ich bin Fachanwältin für Arbeitsrecht, aber auch betriebliche Datenschutzbeauftragte. Und das ist auch mein hauptsächlicher Tätigkeitsschwerpunkt, Arbeitsrecht mit datenschutzrechtlichem Einschlag. Und wenn man das macht, ist es auch nicht mehr weit zum Thema Künstliche Intelligenz, das heißt KI, sodass ich dieses Thema dann auch noch mit aufgenommen habe. In der Praxis entsteht dann daraus häufig die Frage “Wie wollen wir die Zukunft der Arbeit gestalten?” und da ist es dann meine Aufgabe mit den Unternehmen, die ich berate, Lösungen zu finden, wie sie zu dieser Frage den Bedürfnissen von Unternehmen, aber auch von Mitarbeitenden gerecht werden können. Das mache ich dann zum Beispiel, indem ich Betriebsvereinbarungen erstelle und verhandle, gerade im New Work-Bereich, wenn es zum Beispiel um das Thema Remote-Work oder Ähnliches geht.
Und zum Thema künstliche Intelligenz. Was sind da aktuell die wichtigsten Herausforderungen von Unternehmen, wo sie einen Rechtsbeistand benötigen?
Dr. Inka Knappertsbusch: Das ist relativ viel, wenn man im Unternehmen schon Künstliche Intelligenz einsetzt. Im Arbeitsrecht empfehlen wir immer, eine KI-Richtlinie zu erstellen, die dann regeln soll, unter welchen Bedingungen die Mitarbeitenden KI einsetzen. Das ist aus meiner Sicht wichtig, weil in den meisten Unternehmen schon sehr viele Mitarbeitende Chat-GPT oder ähnliche Anbieter nutzen, ohne dass der Arbeitgeber das weiß. Und um hier ein bisschen die Übersicht zu behalten, aber vor allem auch sicherzustellen, dass keine vertraulichen Informationen an Dritte gelangen oder sonstige Risiken für den Arbeitgeber entstehen, macht es durchaus Sinn, eine solche KI-Richtlinie einzuführen, welche den verantwortungsvollen Umgang der Mitarbeitenden mit KI regelt. Darüber hinaus gibt es auch noch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats, wenn Verhaltens- und Leistungskontrolle möglich ist, und das ist bei den meisten KI-Systemen der Fall. Es ist dafür schon ausreichend, dass der Arbeitgeber sehen kann, welcher Mitarbeitende sich wann einloggen in das KI-System. In dem Fall kann der Betriebsrat verlangen, dass dazu eine Betriebsvereinbarung geschlossen wird, und so etwas erstelle und verhandle ich dann zum Beispiel auch.
Sehr spannendes Themengebiet. Könnte man also sagen, dass sich da durch das Thema Künstliche Intelligenz ein komplett neues Themenfeld im Arbeitsrecht aufgetan hat?
Dr. Inka Knappertsbusch: Das stimmt und das wird in Zukunft noch mehr, denn es gibt da ja bald die neue KI-Verordnung auf EU-Ebene, wo dann auch viele Pflichten auf Unternehmen zukommen, insbesondere dann, wenn die so genannte Hochrisiko-KI zum Einsatz kommt. Und das ist tatsächlich sehr schnell im HR der Fall. Da werden viele Unternehmen eine Strategie entwickeln müssen, wie sie den Anforderungen gerecht werden können.
Jetzt sprechen wir heute ja über das Thema agile Personalplanung. Wo erleben Sie denn das Thema agile Personalplanung mit all seinen Vor- und Nachteilen in Ihrem Arbeitsalltag als Rechtsanwältin?
Dr. Inka Knappertsbusch: Ein Bereich, wo mir das Thema relativ häufig begegnet ist, wenn ein Unternehmen einen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin gerne in einem anderen Aufgabenfeld einsetzen möchte und dann aber die Stellenbeschreibung bzw. die Bezeichnung im Arbeitsvertrag so eng gefasst ist, dass das nicht möglich ist. Und das ist ein gutes Beispiel dafür, was Unternehmen in der agilen Personalplanung alles falsch machen können. Denn hier wäre es viel hilfreicher, in Bezug auf eine notwendige Flexibilität die Stellenbeschreibung so weit zu fassen, dass der Mitarbeitende nicht einer bestimmten Abteilung zugewiesen wird und die Tätigkeit recht abstrakt beschreibt wie beispielsweise nur als Sachbearbeiter oder Sachbearbeiterin, sodass dann auch die Sachbearbeitung in anderen Themengebieten durchgeführt werden kann. Das würde dann verhindern, dass es in diesem Fall zu rechtlichen Komplikationen kommt, die die Flexibilität wiederum einschränken.
Es ist ja durchaus üblich, in Arbeitsverträgen eine Klausel zu hinterlegen, dass es dem Unternehmen vorbehalten ist, den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin auch für andere Tätigkeiten oder an anderen Arbeitsorten einzusetzen, um eine Flexibilität zu gewährleisten. Greift diese Klausel dann gar nicht wirklich, wenn ich den Titel zu eng fasse?
Dr. Inka Knappertsbusch: Diese Klausel, die auch als Versetzungsklausel bezeichnet wird, hilft teilweise weiter. Das setzt aber voraus, dass sie wirksam formuliert ist, was oft leider nicht der Fall ist. Denn man müsste da reinschreiben, dass auch die Interessen des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin dort berücksichtigt werden und die Versetzung in eine gleichwertige Tätigkeit erfolgen kann, die den jeweiligen Fähigkeiten und Kenntnissen des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin entspricht. Und wenn diese Formulierung fehlt, dann ist die Klausel sofort unwirksam, das heißt man darf sich darauf auch nicht berufen als Arbeitgeber. Wenn man diese Klausel hat, braucht man nicht die Zustimmung des Mitarbeitenden, aber ggf. die Zustimmung des Betriebsrates, falls es sich um eine Versetzung im Sinne des § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG handelt. Und um das zu vermeiden, insbesondere wenn der Betriebsrat etwas kritischer ist und die Zustimmung nicht erteilt, macht es Sinn, das Aufgabenfeld von vornherein so weit wie möglich zu fassen.
Und wenn Sie sich jetzt mal an eine Situation zurückerinnern, wo genau dieser Fall eingetreten ist, erleben Sie es denn dann, dass die Mitarbeitenden dann genauso agil reagieren und akzeptieren, dass es aufgrund veränderter Rahmenbedingungen notwendig ist, als zum Beispiel Sachbearbeiterin in ein anderes Tätigkeitsfeld zu wechseln? Oder gibt es da auch Widerstände?
Dr. Inka Knappertsbusch: Von den Mitarbeitenden direkt bekomme ich es eher weniger mit, sondern eher wenn der Betriebsrat der Versetzung nicht zustimmt. Und das kann große Nachteile für das Unternehmen haben, weil die Zustimmung dann vor Gericht erzwungen werden muss. Und da gibt es einige Unternehmen, die dann in viele Gerichtsverfahren involviert sind, um diese Zustimmung zu bekommen. Deshalb versuchen wir dann, für die Zukunft das Ganze anders zu regeln und die Jobbeschreibung etwas offener zu gestalten. Aber auch bei Einstellungen ist die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich. Wenn in diesem Zusammenhang Konflikte entstehen, bin ich mir nicht sicher, ob es darum geht, die Mitarbeitenden zu schützen oder ob die Betriebsräte einen Kontrollverlust befürchten. Aber es ist oft schwierig, von dem traditionellen Denken wegzukommen. Und da kann ich mir vorstellen, dass es da auf Seiten der Mitarbeitenden ähnlich läuft.
Das heißt, wie agil sind Ihrer Meinung nach Betriebsräte heute schon in Deutschland?
Dr. Inka Knappertsbusch: Ich würde mir wünschen, dass sie etwas agiler sind. Da bleibt abzuwarten, wie sich das in den nächsten Jahren entwickeln wird, ich bin aber guter Hoffnung, dass da auch die Bedürfnisse der Unternehmen mehr gesehen werden. Und es ist ja auch nicht unbedingt etwas Schlechtes, mal die Stelle zu wechseln, wenn sie gleich bezahlt wird. Unternehmen brauchen eben heute aufgrund der Entwicklungen im Markt und anderer Veränderungen mehr Flexibilität und dementsprechend dann auch die Unterstützung des Betriebsrates.
Ein anderes Thema, das mir in der Praxis gerade häufig begegnet, ist, dass auch die Budgetplanung im Personal immer kürzere Zeiträume umfasst, um auf finanzielle Entwicklungen maximal flexibel reagieren zu können. Oft wird dann die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses auch schon nach kurzer Zeit damit begründet, dass das heute in einer agilen Welt eben so sei. Wie erleben Sie das Thema und was gibt es hier rechtlich zu beachten?
Dr. Inka Knappertsbusch: Also meistens ist es so, dass die Unternehmen zu dieser Erkenntnis erst gelangen, wenn sie ein wirklich großes finanzielles Problem haben und sie sich eine bestimmte Anzahl an Mitarbeitenden nicht mehr leisten können. Meist setzt erst dann ein gewisses Umdenken ein, dass die bisherige Personalplanung über einen längeren Zeitraum nicht mehr zukunftsfähig ist und man sich andere Modelle überlegen muss. Eine Möglichkeit wären zum Beispiel befristete Verträge, sei es mit oder ohne Sachgrund, aber auch der Einsatz von Fremdpersonal, insbesondere was zum Beispiel Arbeitnehmerüberlassung betrifft, aber vielleicht Externe, die über Dienstverträge unterstützen. Das hängt auch immer davon ab, was das Unternehmen an Kompetenzen braucht oder auch für wie lange oder wie viele Mitarbeitenden.
Würden Sie denn sagen, dass der früher in Deutschland sehr hoch angesehene unbefristete Arbeitsvertrag, der ja auch was zum Beispiel Kreditwürdigkeit oder andere Themen beeinflusst, immer noch eine sehr hohen Stellenwert hat und man deshalb daran festhält? Oder gibt es hier inzwischen auch ein Umdenken?
Dr. Inka Knappertsbusch: Ich kenne dazu keine Statistik, aber nach meinem Gefühl würde ich sagen, dass nicht mehr ausschließlich nach einem unbefristeten Arbeitsvertrag gefragt wird, weil auch von den Mitarbeitenden der Wunsch ausgeht, sich weiterzuentwickeln und dann auch gerne den Arbeitgeber wechseln. Es gibt auch Studien, die zeigen, dass sich das Gehalt deutlich besser entwickelt, wenn man häufig den Arbeitgeber wechselt, als wenn man lange bei dem gleichen Arbeitgeber bleibt. Das ist aber glaube ich auch ein Thema, was sehr von der Persönlichkeit der Menschen abhängt. Jemand mit einem hohen Sicherheitsbedürfnis möchte vielleicht eher einen unbefristeten Arbeitsvertrag und jemand, der eher auf Wandel und Wachstum ausgerichtet ist, stört das vielleicht eher nicht so. Und es hängt auch von der persönlichen Situation ab, zum Beispiel, welche finanziellen Reserven man hat oder ob man eine Familie finanziell unterstützen muss oder ähnliches. Ich kann nicht sagen, dass es überhaupt kein Bedürfnis mehr danach gibt oder dass es abgeschafft werden sollte, aber ich glaube, wenn man einen befristeten Vertrag angeboten bekommt, sollte das kein Grund sein, einen Job abzulehnen. Denn auch in der befristeten Zeit kann man eine Menge lernen und sich entsprechend weiterentwickeln.
Und wenn ich als Arbeitgeber einen unbefristeten Vertrag geschlossen habe und dann doch nach kurzer Zeit feststelle, dass sich die Rahmenbedingungen derart verändert haben, dass ich eine neue unternehmerische Entscheidung treffen muss. Was ist Ihre Empfehlung, wie ich das dann rechtssicher und ohne negative Folgen für mich als Arbeitgeber gestalten kann?
Dr. Inka Knappertsbusch: Sie sprechen damit etwas sehr Wichtiges an, nämlich, dass man auch das Offboarding juristisch gut regeln muss. Nicht nur, weil man sonst befürchten muss, dass die Mitarbeitenden das Unternehmen schlecht bewerten, sondern dass es – zumindest in bestimmten Branchen – häufig so ist, dass man sich öfter nochmal wiedersieht und bei einer etwas stabileren Auftragslage den Mitarbeitenden gegebenenfalls auch zurückgewinnen möchte. Deshalb appelliere ich immer für eine maximale Transparenz gegenüber den Mitarbeitenden, warum man diese Entscheidung zum Beispiel aufgrund der wirtschaftlichen Lage treffen muss und nicht zu begründen, dass man das in einer agilen Welt halt so macht. Das sollte auf beiden Seiten so fair wie möglich gestaltet werden, zum Beispiel in Form eines Aufhebungsvertrages. Darin könnte man zum Beispiel anstatt einer Abfindung auch eine Fortbildung für den Mitarbeitenden vereinbaren. Einen reinen Geldbetrag, der nur dafür verwendet wird, um den Verlust des Arbeitsplatzes zu kompensieren, halte ich nicht für sonderlich zielführend. Ich würde dann lieber in Fortbildung oder ähnliches investieren, damit die Mitarbeitenden dann eine bessere Chance auf dem Arbeitsmarkt haben.
Jetzt schauen wir mal auf die andere Seite, nämlich auf die aktuelle Rechtssprechung und die aktuellen Arbeitsgesetze. Hat sich die Rechtsprechung oder auch Gesetzgebung in den letzten Jahren in der gleichen Dynamik wie der Arbeitsmarkt entwickelt und wird sie der Forderung nach mehr Agilität schon gerecht? Oder gibt es da vielleicht auch noch Nachholbedarf, um in der neuen Arbeitswelt wirklich anzukommen?
Dr. Inka Knappertsbusch: Ich finde einen Verbesserungsbedarf gibt es immer, wobei ich die weniger auf der Seite der Gerichte sehe, da sie ja nur den Sachverhalt auf Basis aktueller Gesetze entscheiden, sondern eher auf Seiten der Gesetzgebung. Was da tatsächlich geregelt wird, hängt auch sehr stark davon ab, wer gerade in der Regierung sitzt und ob da eher Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerinteressen vertreten werden. Und da gibt es natürlich auch immer wieder neue Forderungen, zum Beispiel nach einem Recht auf Home Office oder Ähnliches, wo sich dann wiederum viele Unternehmen, wie zum Beispiel Produktionsunternehmen, fragen, wie sie das umsetzen sollen. Grundsätzlich ist meine Ansicht immer, den Markt das regeln zu lassen und den Gesetzgeber erst dann tätig werden lassen, wenn es sich über den Markt nicht regeln lässt, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, wobei Gerechtigkeit natürlich auch recht subjektiv verstanden wird. Ein Beispiel ist die Frauenquote, die sich über den Markt nicht eingestellt hat, es aber jetzt über das Gesetz besser funktioniert und damit gerechter geworden ist. Oder wenn ein Unternehmen Remote-Arbeit anbieten könnte, es aber aus objektiv nicht belegbaren Gründen nicht tut, dann könnte ich mir schon vorstellen, dass es dafür in ein paar Jahren ein Gesetz dazu gibt.
Das heißt, wie agil würden Sie die deutsche Rechtsprechung im Jahr 2024 einschätzen? Damit meine ich, dass ein Unternehmer sein Unternehmen gleichzeitig rechtssicher, aber auch flexibel führen kann.
Dr. Inka Knappertsbusch: Ich meine, so viel Flexibilität gibt es da gar nicht, zumal man ja auch berücksichtigen muss, dass der Arbeitgeber heute gar nicht so viel entscheiden kann, sondern der Mitarbeitende oftmals auch zustimmen muss und mindestens genauso oft der Betriebsrat zu involvieren ist. Das heißt, selbst wenn man als Unternehmen schon sehr agil ist, geht es ganz alleine aus Sicht des Unternehmens sowieso nicht. Ich glaube, es ist aber weniger eine rechtliche Frage als eine Frage der Einstellung. Wenn ich als Unternehmen agil sein möchte, dann schaffe ich das auch in dem rechtlichen Rahmen, indem ich die Mitarbeitenden und auch den Betriebsrat überzeugen kann, dass es Sinn macht, meine unternehmerische Entscheidung, die ich treffen möchte, umzusetzen. Und dann ist es durchaus möglich. Und wenn man die Mitarbeitenden und auch den Betriebsrat nicht auf seiner Seite hat, dann hilft einem auch das Gesetz nur bedingt weiter, weil man sich dann alles erstreiten muss.
Und wie schaut es mit der Agilität in HR Management aus? Wo steht Deutschland nach Ihrer Einschätzung heute und wo gibt es vielleicht noch Nachholbedarf?
Dr. Inka Knappertsbusch: Aus meiner Sicht läuft das überwiegend recht schleppend, weil es immer noch wenige Menschen gibt, die den Mut haben, Entscheidungen zu treffen. Absolute Sicherheit gibt es halt leider nicht und im Rechtswesen sowieso nicht. Deshalb muss man immer ein Risiko eingehen, wenn man etwas Neues ausprobieren möchte. Da würde ich mir schon wünschen, dass das mehr Unternehmen machen, zum Beispiel im Rahmen von Pilotphasen. Es wäre ja eine Möglichkeit, die agile Methode XY mal für ein halbes Jahr auszuprobieren und dann aus Sicht von Arbeitgeber und Mitarbeitenden drauf zu schauen und zu überlegen, ob das etwas für die Zukunft sein könnte oder passt es aus bestimmten Gründen nicht. Ich glaube, wenn man das nicht macht, wird man irgendwann abgehängt von Unternehmen, die experimentierfreudiger sind. Die Welt ist nunmal im Wandel und das gilt auch für Unternehmen und Arbeitgeber und wer da nicht mitzieht, hat früher oder später das Nachsehen.
Und wenn man als Unternehmen eine agile Struktur möchte, inwieweit würden Sie empfehlen, sich das Ganze aus arbeitsrechtlicher Perspektive anzuschauen? Oder gilt hier auch das Prinzip “einfach mal machen”?
Dr. Inka Knappertsbusch: Ich würde das immer empfehlen – nicht, weil ich selbst Arbeitsrechtlerin bin, sondern weil wir natürlich viel schneller auch mögliche Probleme erkennen und auch Lösungen dafür finden als jemand, der sich nicht so viel mit diesem Thema beschäftigt. Jemand, der die Probleme nicht kennt und demnach auch nicht erkennt und keine passenden Lösungen hat, für den wird es dann in der Regel meist teurer, weil man sich dann in vielen Einzelverfahren vor Gericht wiederfindet und dann bereut, sich nicht vorab damit beschäftigt zu haben. Gerade Restrukturierungsprojekte werden vor diesem Hintergrund in der Regel lange im Voraus geplant. Da wird dann genau überlegt, wie der Bedarf ist, welche Abteilungen betroffen sind und wie eine saubere Sozialauswahl erfolgen kann oder auch ob ein Freiwilligenprogramm angeboten wird, um sich rechtlich abzusichern.
Sie hatten zuvor ja schon einmal die Arbeitnehmerüberlassung angesprochen als eine Möglichkeit mehr Flexibilität in der Personalplanung zu gewinnen. Jetzt wurde das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz 2017 ja umfangreich reformiert mit einigen Einschränkungen.
Dr. Inka Knappertsbusch: Das ist ein gutes Beispiel für den Ausdruck der politischen Lage. Wenn die Zeiten sehr unsicher sind, dann wird mehr auf die Arbeitnehmerüberlassung zurückgegriffen und wenn die Zeiten wieder besser werden, dann wird das Gesetz wieder ein bisschen angepasst. Ich finde, dass es auch in den aktuellen Regelungen immer noch viele Möglichkeiten gibt, die Leiharbeitnehmer sinnvoll und für ausreichende Dauer einzusetzen. Ich habe da von keinem Unternehmen bisher gehört, dass es von Arbeitnehmerüberlassung aufgrund von Gesetzesänderungen der letzten Jahre Abstand nimmt, dazu gibt es einfach zu viele Vorteile, gerade auch für kurzfristigen Personalbedarf. Ich glaube, der Trend geht eher in die Richtung, dass es mehr eingesetzt wird, weil es eben die notwendige Flexibilität und Agilität schafft.
Die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes hatte 2017 ja auch wesentliche Auswirkungen auf den Einsatz von Freelancern. Hier gab es ja eher eine rückläufige Tendenz, um sich vor der Gefahr der Scheinselbständigkeit zu schützen. Wie schätzen Sie die Situation heute ein?
Dr. Inka Knappertsbusch: Da gibt es ganz unterschiedliche Entwicklungen. Ich durfte mal einen Dienstvertrag für Influencer machen, die Produkte eines Unternehmens vermarkten, das ist zum Beispiel etwas, was zunehmend an Bedeutung gewinnt und eher über Freelancer geregelt wird. Es hängt sicher auch davon ab, welche Dienstleistung man in Anspruch nehmen möchte. In Bereichen wie IT oder Payroll werden viele Jobs auf Externe verlagert, weil es damit für die Unternehmenden eben auch leichter zu verwalten und manchmal sogar kostengünstiger ist. Aus rechtlicher Sicht muss man dabei nur darauf achten, dass es sich nicht um Scheinselbständigkeit handelt, das heißt, dass die Personen eigentlich genauso wie Arbeitnehmende agieren und demnach rechtlich auch wie Arbeitnehmende zu behandeln sind, inklusive Nachzahlung der Sozialversicherungsbeiträge und ähnlichem. Aber wenn man das alles sauber regelt, spricht nichts dagegen, bestimmte Dienstleistungen auch dauerhaft auf Externe auszulagern.
Jetzt gab es ja vor einigen Jahren die Entwicklung, dass langjährige Freelancer auf einmal nicht mehr zum Sommerfest eingeladen wurden, weil man plötzlich Angst hatte, dass dadurch der Verdacht der Scheinselbständigkeit aufkommen könnte. Ist das heute immer noch so oder hat sich das Thema wieder etwas entschärft?
Dr. Inka Knappertsbusch: Das ist weiterhin so, weil da ein erhebliches Interesse besteht, dass die Unternehmen die Sozialversicherungsbeiträge abführen und das Thema Scheinselbständigkeit dann auch schnell im Rahmen einer Betriebsprüfung aufkommt. Und wenn man erst mal einen Bescheid bekommt, ist es relativ schwierig, sich dagegen inhaltlich zu verteidigen. Ich sage meinen Mandanten und Mandantinnen immer als Daumenregel, dass sie die Externen so behandeln müssen, dass sie von den Internen zu unterscheiden sind. Die Email-Adresse ist da immer ein Thema, die sollte man auf jeden Fall nicht vergeben. Aber auch so etwas wie Firmenkleidung, wo das Firmenlogo drauf ist, sollten Freelancer nicht tragen, weil sie dann einfach sehr schwer von internen Mitarbeitenden zu unterscheiden sind. Da würde ich auf jeden Fall vorsichtig sein. Das Kennzeichen für Arbeitnehmende ist neben der Weisungsgebundenheit ja, dass sie eingegliedert sind in den Betrieb des Arbeitgebers. Dazu gehört neben einem Urlaubsanspruch und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auch ein fester Arbeitsplatz mit Arbeitsmitteln, die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt werden, zum Beispiel eine Emailadresse des Unternehmens oder in einem Büro zu sitzen mit anderen Kollegen. Und zum Thema Sommerfest, das geht auch, sofern dann auch andere externe Partner eingeladen sind. Aber das kann man ja alles gestalten und kann so dann trotzdem von der Flexibilität freier Mitarbeitender profitieren.
Vielen Dank Frau Knappertsbusch für die spannenden Einblicke. Was möchten Sie den Leser:innen abschließend als Empfehlung mitgeben, wie sie agile Personalplanung rechtssicher gestalten können?
Dr. Inka Knappertsbusch: Zunächst finde ich es abseits meiner rechtlichen Empfehlungen extrem wichtig, dass man ein agiles Mindset entwickelt. Und damit meine ich nicht nur Unternehmen und Führungskräfte, sondern dass man sich auch als Mitarbeitende von der Idee verabschiedet, dass man bis zum Rentenalter den Job ausübt, den man irgendwann mal gelernt hat. Und je eher man sich damit auseinandersetzt und je eher man sich Veränderungen anpasst, desto flexibler ist man – sowohl auf Arbeitgeberseite als auch auf Seiten der Mitarbeitenden. Meine Hoffnung ist, dass da alle im Kopf noch etwas flexibler werden. Und ich glaube, wir müssen uns auch davon verabschieden, dass es ein Makel ist, wenn man keinen lückenlosen und super gerade Lebenslauf hat, sondern dass das auch eine Entwicklung unserer Zeit ist. Auch wenn Mitarbeitende feststellen, dass sie zu einem Arbeitgeber nicht mehr passen und deshalb kündigen, finde ich das völlig legitim. Wir haben heute so viele Freiheiten im Privat- und Berufsleben und sollten diese auch nutzen, um uns weiterzuentwickeln und kontinuierlich zu lernen. Ich finde, man sollte nicht aus Bequemlichkeit eine Tätigkeit bis zum Rentenalter machen, nur weil man an eine bestimmte Tätigkeit in einem bestimmten Unternehmen gewöhnt ist ist. Und wenn ein Recruiter fragt, warum manchen Dinge so gelaufen sind und eine ehrliche Antwort zulässt und anerkennt, hat die andere Seite auch die Möglichkeit, ehrlich zu antworten. Auch hier geht es viel um Kommunikation und einen fairen Umgang miteinander und das benötigt dann gar keine Gesetze oder eine Rechtssprechung, um die notwendige Flexibilität in der heutigen Arbeitswelt zu erreichen.
Weitere Informationen zu Frau Dr. Inka Knappertsbusch

Frau Dr. Inka Knappertsbusch ist Fachanwältin für Arbeitsrecht mit Schwerpunkt auf die arbeitsrechtliche Beratung im Rahmen von Restrukturierungen und Betriebsvereinbarungen und in allen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts sowie des Dienstvertragsrechts. Besondere Kenntnisse besitzt sie außerdem in Datenschutzfragen im Beschäftigungskontext. 2019 schloss sie sich CMS an, einer zukunftsorientierten Anwaltskanzlei mit über 70 Standorten in über 40 Ländern und mehr als 5.000 Anwältinnen und Anwälten. 2023 wurde sie Counsel der Sozietät. Zuvor war sie drei Jahre als Anwältin in einer internationalen Kanzlei tätig. Während dieser Zeit absolvierte sie ein einjähriges Secondment in der Rechtsabteilung eines japanischen Handelshauses in London.
Bücher von Frau Dr. Inka Knappertsbusch
The Future of Work – Shaping New Work With Flexibility and Legal Certainty
This book provides an overview of the various design options for New Work and highlights their respective advantages and disadvantages. It also analyses new trends and forecasts relating to the future of work. In addition, the relevant legal framework is presented in a concise and easy-to-understand manner.
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Erschienen am 26.10.2023 im Springer Gabler Verlag.
ISBN: 978-3658422318
Hrsg.: Inka Knappertsbusch und Gerlind Wisskirschen

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Erschienen am 24.12.2021 im Springer Gabler Verlag.
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